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Corona-Konjunktur: Deutsche Wirtschaft wächst rasant - Süddeutsche Zeitung

Die ökonomische Metapher dieser Tage ist das Gummiband. Die Corona-Pandemie und der Shutdown im Frühjahr zogen die Konjunktur nach unten wie eben so ein Gummiband - der Absturz im zweiten Quartal 2020 war dramatisch, der wirtschaftliche Schaden in den drei Monaten April bis Juni historisch. Das Minus betrug 9,8 Prozent. Nun schnalzt das Gummiband zurück: Im dritten Quartal ist die deutsche Wirtschaft rasant gewachsen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts nahm sie gegenüber dem Vorquartal um 8,2 Prozent zu. Das Wachstum kam sowohl aus dem privaten Konsum als auch aus Investitionen sowie stark gestiegenen Exporten.

Das Plus ist auch deshalb fast unfassbar groß, weil das Minus zuvor so groß war - die Zahl ist daher noch kein Grund zum Jubeln. "Insgesamt ist die konjunkturelle Situation bescheiden", sagt Michael Schröder vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Und die neuen Daten vom Statistischen Bundesamt sind zwar der Goldstandard der Konjunkturforschung, doch sie sind in so einer dynamischen Lage wie jetzt fast schon wieder historisch. Sie beziehen sich auf das dritte Quartal 2020, also auf die Monate Juli, August und September. Zur Erinnerung: Mitte August meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 1415 neue Covid-Fälle an einem Tag - ein Wert im vierstelligen Bereich, nicht wie jetzt im fünfstelligen.

Wie schlimm wird die Wirtschaftskrise aufs Jahr hochgerechnet? "Es ist eine schwierige Zeit", sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), "auch für Prognostiker." Am Freitag legt er die Herbstprojektion der Bundesregierung vor, zwei Tage später als ursprünglich geplant. Er habe, sagt er, die jüngsten Beschlüsse im Kampf gegen die Pandemie noch abwarten wollen. Viel geändert haben sie aber nicht an der Prognose: Die Regierung rechnet nun nur noch mit 5,5 Prozent Schrumpfung in diesem Jahr. Der Einbruch fiele damit etwas weniger stark aus als noch im September befürchtet. "Und wir sind von vorsichtigen Annahmen ausgegangen", sagt Altmaier.

Klar ist aber auch: Die jetzige Situation, also die im vierten Quartal, ist erneut nicht gut. In den ursprünglichen Entwürfen für die Herbstprojektion sollte für die letzten drei Monate noch ein Plus von 1,1 Prozent stehen. Am Ende machte das Wirtschaftsministerium aus der 1,1 eine 0,4. Andere Ökonomen gehen noch weiter. "Anders als bisher angenommen, wird vermutlich das Wachstum im vierten Quartal von Oktober bis Dezember zum Stillstand kommen", sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. "Ein Rückgang ist möglich, hängt aber davon ab, ob es zu privater Konsumzurückhaltung kommt."

Andererseits: In der zweiten Welle ist mehr über das Virus bekannt. Und die nun beschlossenen Einschränkungen für Gastronomie, Kultur und Sport sind harsch, aber doch weniger harsch als zu Beginn der Pandemie. Ja, mancher Branche geht es schlecht, sagt Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern, in dem die Volks- und Raiffeisenbanken organisiert sind. Aber es gelte auch: "Wir sollten die wirtschaftliche Gesamtsituation nicht dramatisieren, sonst verhindern wir psychologisch den Aufschwung."

Industriebetriebe und Geschäfte bleiben nun offen. Das hilft jenen Bereichen der Wirtschaft, denen es ohnehin gar nicht so schlecht geht: "Die Autobranche ist dabei sich zu erholen, das Handwerk ist großteils stabil und gebaut wird mit ungebrochener Dynamik", so Gros. Außerdem soll es neue Staatshilfen geben, wie der Staat überhaupt schon Milliarden um Milliarden ausgibt, um die Folgen der Pandemie zu mildern. Und davon scheinen viele Menschen zu profitieren, sagt Genossenschaftspräsident Gros: "Die Analyse der Einkommen für die Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken zeigt, dass die Einkommen bisher stabil sind, sodass sie konsumieren können."

Die zweite Welle trifft auch andere Länder - und damit die deutschen Exporteure

Die Frage ist, wie es nun weitergeht. Als eine der wenigen Institutionen hat die OECD, eine Art Denkfabrik der Industriestaaten, eine Schätzung vorgelegt für den Fall, dass der Winter hart wird. Dann wird der Absturz 2020 härter - und vor allem wird die Erholung 2021 viel schwieriger. Mit den diese Woche beschlossenen Einschränkungen wird dieses Szenario wahrscheinlicher. "Es ist zu fürchten, dass das Wachstum deutlich schlechter ausfällt als man vor einigen Wochen dachte", sagt auch ZEW-Ökonom Schröder. Der Ifo-Geschäftsklimaindex, der auf Firmen-Umfragen basiert und ein wichtiger Konjunkturindikator ist, fiel schon im Oktober leicht - zum ersten Mal seit fünf Monaten.

Auf der anderen Seite hat das nun für November geschlossene Gastgewerbe nur einen relativ geringen Anteil an der deutschen Volkswirtschaft. Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung schätzt, dass die Schließung für einen Monat die Wirtschaftsleistung im Quartalsvergleich nur um 0,6 Prozent drückt. Solange die Grenzen offen bleiben und der Handel läuft, könnte die Industrie dieses Minus weitgehend ausgleichen.

Allerdings erleben auch andere Länder eine zweite Welle und kaufen daher womöglich weniger Waren und Dienstleistungen aus Deutschland ein. Die vom Ifo gemessenen Exporterwartungen der Industrie fielen schon im Oktober. "Bei den exportorientierten Branchen Automobil, Maschinenbau, Elektrotechnik werden die Exporte erneut zurückgehen", schätzt ZEW-Forscher Schröder.

Wie alles andere hängt aber auch das von der Pandemie ab. So seien viele wichtige Handelspartner in Asien derzeit so wenig von neuen Infektionen betroffen, sagt Altmaier, dass sich die Wirtschaft dort rasch erholen könne. "Das hat Auswirkungen auch auf die deutsche Volkswirtschaft." Und auch aus den USA kämen "ermutigende Zahlen", zumindest was das Wachstum angeht. Für das nächste Jahr erwartet die Bundesregierung nun 4,4 Prozent Wachstum - bei der Projektion im Frühjahr waren das noch 5,2 Prozent. Vorbehaltlich natürlich der Lage an der Covid-Front.

Schon deshalb hängt nun vieles daran, wie viel die Einschränkungen in den vier November-Wochen bringen. "Wir stehen an einem Scheideweg", sagt Altmaier. Nur bei wieder sinkenden Infektionszahlen könne sich die Erholung der Wirtschaft fortsetzen. Der Umkehrschluss gilt auch.

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